Intendant und Mitgründer des Theatersommers Peter Kratz verabschiedet sich nach 33 Jahren – Neue Doppelspitze mit der Künstlerischen Leiterin Christine Hofer und Geschäftsführerin Susanne Schmidt – Finanzierung nach wie vor unsicher

Ludwigsburg, 30. Oktober 2023. Auf zu neuen Ufern: Der Theatersommer Ludwigsburg muss und will sich nach Ende der Saison 2023 neu erfinden. Denn nach rekordverdächtigen 33 Jahren geht Co-Gründer Peter Kratz in den Ruhestand. Seit dem Start 1990 zusammen mit Christiane Wolff, seit 2020 alleinverantwortlich, war der scheidende Intendant gleichzeitig Künstlerischer Leiter, Geschäftsführer, Autor und Dramaturg für das beliebte und außerordentlich erfolgreiche Open-air-Theater im Herzen der Stadt. Seitdem das Ausscheiden von Peter Kratz bekannt wurde, beschäftigt die Scala Kultur Theatersommer gGmbH als Träger, die Stadt Ludwigsburg und die zahlreichen Theatersommer-Fans in der Region die große Frage: Wie geht es weiter? Schließlich ist klar, dass keine Nachfolgerin, kein Nachfolger diese über die Jahre gewachsene, mit einer guten Portion Selbstausbeutung erkaufte Aufgabenfülle alleine bewältigen könnte.

Die nun erforderliche Neuaufstellung ist aber keine reine Personalangelegenheit. Sie ist unauflöslich verknüpft mit dem Problem der notorisch unzureichenden öffentlichen Förderung. Den sicheren Fortbestand des Theatersommers würde nur ein um € 100.000 aufgestockter Gesamtetat garantieren. Diese Erhöhung wäre zu erreichen, wenn der Theatersommer die jährlich eingeworbene Summe an Drittmitteln von bislang ca. € 40.000 bis € 50.000 auf € 100.000 steigert und die Stadt Ludwigsburg ihre Förderung gleichzeitig um € 50.000 anhebt, so wie es die Trägergesellschaft für den Haushalt 2024 beantragt hat. Schlüssig belegt wird dieses existenzsichernde Szenario aktuell durch ein Gutachten der Hochschule Heilbronn unter der Federführung der Kulturmanagement-Dozentin Prof. Dr. Raphaela Henze, das der Theatersommer mit Unterstützung der Wüstenrot Stiftung in Auftrag gegeben hatte.

Hinzu kommt: Damit der Theatersommer überhaupt eine Zukunft hat, müssen die Weichen deutlich vor der Gemeinderatsentscheidung am 19. Dezember 2023 gestellt werden. Denn die Vorbereitung der Saison 2024 durch ein neues Team kann nicht erst im neuen Jahr beginnen. Deshalb ging die Scala Kultur Theatersommer gGmbH einen mutigen Schritt. Sie schrieb eine künstlerische und eine kaufmännische Leitung aus – und hat beide Stellen in der vergangenen Woche besetzt. Und das, ohne zu wissen, ob der Gemeinderat der Zuschusserhöhung tatsächlich zustimmt. Dass die Trägergesellschaft dennoch optimistisch ist, hängt nicht nur mit von allen Beteiligten anerkannten überragenden Bedeutung des Theatersommers für das kulturelle Leben der Stadt zusammen. Es hat sehr konkret mit den beiden Frauen zu tun, die das Rennen um die neuen Positionen gemacht haben. Das künftige Führungsduo verbindet langjährige Theatersommer-Erfahrung mit dem frischen Blick von außen – und stellt so die beste Gewähr für einen programmatischen und organisatorischen Neuanfang dar.

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Christine Hofer, Intendanz

Ihre Bewerbung stach von Anfang an heraus, durch ihre glühende Leidenschaft für das Theater und eine Unmenge an brillanten, immer handfesten Ideen, die sämtlich die Handschrift einer versierten Theaterpraktikerin tragen.

Die gebürtige Brandenburgerin wuchs in Berlin auf und fand dort Mitte der 90er Jahre den Weg zum Theater. Sie arbeitete in freien Gruppen sowie von 1998 bis 2001 am Staatstheater Braunschweig, bevor sie im Jahr 2001 ein Regiestudium an der Berliner Ernst-Busch-Schule aufnahm, unter anderem bei Peter Zadek, Christian von Treskow, Thomas Ostermeier und Peter Kleinert. Noch während des Studiums erhielt ihre Inszenierung von Euripides‘ Iphigenie in Aulis den Kulturpreis der Stadt Bensheim und wurde zum Regiewettbewerb der Körber-Stiftung in Hamburg sowie zu den Ruhr-Festspielen Recklinghausen eingeladen. Seit 2006 führte Christine Hofer freiberuflich Regie bei mittlerweile über 100 Produktionen in ganz Deutschland. Sie inszenierte unter anderem am Berliner Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater Berlin, am Theater Magdeburg, am Theater Chemnitz, am Rheinischen Landestheater Neuss, am Schleswig-Holsteinischen Landestheater, am Volkstheater Rostock und am Theater Heilbronn. Von 2018 bis 2021 war Christine Hofer Leiterin des Jungen Schauspiels am Landestheater Eisenach. Bis Ende der Spielzeit 2023/2024 ist sie Interimsintendantin des Landestheaters Schwaben in Memmingen. 

Für ein umfassendes Konzept für den Theatersommer ist es noch zu früh. Christine Hofer hat jedoch schon angedeutet, wo sie künstlerische neue Akzente setzen möchte – zum Beispiel mit Inszenierungen im Stil des Figuren- und Maskentheaters sowie dem Ausbau des Kinder- und Familientheaters, mit drei statt bislang zwei Produktionen pro Saison.

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Susanne Schmidt, Geschäftsführung

Seit vielen Jahren ist Susanne Schmidt für den Theatersommer im Bereich Organisation, Verwaltung und Finanzen tätig und kennt die Abläufe und Strukturen wie ihre Westentasche.

Sie studierte von 2000 bis 2003 Kulturmanagement am renommierten Liverpool Institute for Performing Arts (Großbritannien) und machte wenige Jahre später außerdem ihren Master im Management von Kultur- und Non-Profit-Organisationen an der TU Kaiserslautern. Ihr Ludwigsburger Netzwerk ist denkbar dicht geknüpft. Denn sie stand und steht auf der Gehaltsliste vieler wichtiger kultureller Player am Ort – darunter die Ludwigsburger Schlossfestspiele und die Scala Kultur gGmbH – als Verantwortliche für so unterschiedliche Aufgaben wie Pressearbeit und Marketing, Organisation oder Leitung des Kartenbüros.

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SPIELZEIT- BILANZ 2023
Ludwigsburg, 4. September 2023. Gegen alle Wetterunbill hat der Ludwigsburger Theatersommer auch in dieser Saison Publikum und Presse begeistert. Mit drei Premieren sowie den beliebten Wiederaufnahmen vor ausverkauften Rängen zeigte das Freilichttheater einmal mehr seine einzigartige, im grünen Garten erlebbare Attraktivität. Doch der langjährige Intendant Peter Kratz und auch die Leiterin des Kindertheaters Diana Gantner nehmen ihren Abschied – die Zukunft des Theaters erscheint so mehr als fraglich. Die WERKSTATT DER VISIONEN, die neue Impulse geben sollte, muss abgesagt werden.

Der Ludwigsburger Theatersommer blickt auf eine ganz besondere Sommersaison 2023 zurück, da sich der Mitgründer und Intendant Peter Kratz nach 33 erfolgreichen Jahren vom Theatersommer verabschiedet. Und auch das Wetter schien an dieser Berg- und Talfahrt der Gefühle unbedingt teilhaben zu wollen. Startete die Spielzeit im Juni und Juli noch mit stabilem Sommerwetter, musste sich der Theatersommer im August mit einigen Wetterkapriolen herumschlagen und war gezwungen, viele Aufführungen abzusagen. Oftmals saßen die ZuschauerInnen sogar bereits auf ihren Plätzen, als plötzlich einsetzender prasselnder Regen die Aufführung unmöglich machte.

Trotzdem gibt es auch Grund zum Feiern, denn mit rund 15.500 Besucher:innen konnte der Theatersommer die Zuschauerzahlen im Vergleich zum letzten Jahr (12.969) um 20% steigern. Der Zuwachs im Abendspielplan lag bei rund 16%, und auch das Kindertheater konnte trotz des hohen Niveaus der Vorjahre ebenfalls noch einmal um 5% zulegen. Von den 112 angesetzten Vorstellungen mussten 14 Aufführungen, meist abends, abgesagt werden. 6.731 Zuschauer:innen sahen die Aufführungen im Abendspielplan, 6.234 Kinder und Familiengäste erfreuten sich an den Nachmittagsaufführungen, und 2.656 Schulkinder besuchten die Vormittagsvorstellung für die Bildungseinrichtungen aus Stadt und Kreis.

Mit diesem Ergebnis unterstreicht der Theatersommer erneut die überregionale Einzigartigkeit und enorme Beliebtheit seines vielschichtigen Theaterangebots für Menschen aller Altersgruppen.

Im Abendspielplan stellte die Inszenierung von Shakespeares DER STURM unter Beweis, dass auch ein wuchtiger Klassiker der Weltliteratur durch kluge Aktualisierungen und komödiantische Akzente einem breiten Publikum näher gebracht werden kann. Ganz im Kontrast dazu stand Dario Fos BEZAHLT WIRD NICHT als letzte Regiearbeit von Peter Kratz, der es gelang, die etwas in die Jahre gekommene anarchistische Farce in die Gegenwart zu heben, den zeitlosen Humor aus dem Text zu filtern und einen grell-komischen Abend auf die Bühne zu zaubern, der stets für ausverkaufte Vorstellungen sorgte.

Auch das Kinder- und Familientheater unter der Leitung von Diana Gantner schrieb seine Erfolgsgeschichte von 2022 fort. Alle 3.000 Karten für Schulvorstellungen waren innerhalb von Stunden vergriffen, und sämtliche Nachmittagsaufführungen für Kinder und Familien konnten ausnahmslos vor vollen Rängen gespielt werden. Ergänzend zu den Schulvorstellungen belegte die ebenfalls ausgebuchte theaterpädagogische Nachbereitung der Aufführungen in den Schulen das soziale und kulturelle Engagement des Theatersommers: Ihm verdanken inzwischen Generationen von Kindern ihre erste Begegnung mit Theater und Kultur.

Neben dem beiden Wiederaufnahmen von EINE WOCHE VOLLER SAMSTAGE und PIPPI LANGSTRUMPF gelang es Diana Gantner mit ihrer wunderschönen poetischen Neuinszenierung von DER KLEINE PRINZ, stilistisch eine neue Farbe in das breite künstlerische Spektrum des Theatersommers zu bringen. Leider hat sich auch Diana Gantner aus privaten Gründen dazu entschlossen, nach der Saison 2023 aufzuhören. Zweifellos hat die unsichere Zukunft des Theatersommers mit zu dieser Entscheidung beigetragen.

Da die Stadt Ludwigsburg bereits im Vorfeld der Diskussionen um die Fortführung des Theatersommers jede Erhöhung ihrer Fördermittel kategorisch ausgeschlossen hat, scheint die Zukunft ungewisser denn je zu sein. Um die multifunktionalen Arbeitsgebiete der derzeitigen Leitung und des ebenfalls scheidenden Kernteams bei Technik und Verwaltung wenigstens so auflösen zu können, dass ein neues Team eine reale Chance zu einem Neustart hätte, werden rund 100.000 € mehr benötigt. Diesen Betrag, wie von der Stadt vorgeschlagen, Jahr für Jahr vollständig durch Drittmittel aufzubringen, erscheint vor dem Hintergrund einer seit 20 Jahren stagnierenden kommunalen Förderung als völlig unrealistisch.

Trotz dieser schwierigen Vorzeichen hat die Scala-Kultur Theatersommer gGmbH die Stelle der Theaterleitung inzwischen bundesweit ausgeschrieben. Mit den Ideen und Impulsen einer eventuellen neuen Leitung oder eines neuen Leitungsteams hofft man Mitte Oktober konkrete Visionen vorstellen zu können, die den Theatersommer vielleicht doch noch in die Zukunft führen.